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Lesetipp: wespennest nr. 176, Schwerpunkt "Klima"
Gerade in diesem Sommer haben wir nicht nur hierzulande das Gefühl, die Klimakrise am eigenen Leib zu spüren. Medial werden wir nahezu täglich mit aktuellen Nachrichten über neue Temperaturrekorde und zunehmende Extremwetterlagen konfrontiert. Vielfach hat es den Anschein, als sei unsere Gesellschaft angesichts wissenschaftlicher Szenarien, die für die kommenden Jahrzehnte noch Schlimmeres vorhersagen, heillos überfordert. Nun sind wiederholte Katastrophenmeldungen nicht das beste Mittel, um sich tiefergehende Gedanken über konstruktive Lösungen zu machen. Als passender Lesestoff empfiehlt sich hier die aktuelle Ausgabe der österreichischen Literatur- und Kulturzeitschrift wespennest zum Schwerpunkt Klima. Diese erlaubt es, das tägliche Aufgeregtsein hintanzustellen und sich mit interessanten Hintergründen und neuen Sichtweisen auseinanderzusetzen. Die im Heft zu Wort kommenden Schriftsteller*innen, Dichter*innen, Journalist*innen sowie Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen erweitern den Blick um Perspektiven, denen wir im Alltag eher selten begegnen.
Ist die Zukunft der Raum der Katastrophe? Oder ein Raum der Verbesserung und der Transformation? Diese Fragen stellt Georg Seeßlen eingangs in seinem Beitrag, und plädiert eindringlich dafür, dass wir unsere Zukunft doch von ihrer Last befreien mögen, und sie uns nicht durch die ständige Übernahme der Begriffe und Konzepte des diskursiven Mainstreams – Effizienz, Machbarkeit und Ertrag nennt er als Beispiele – stehlen lassen. Der isländische Lyriker Sjón berichtet von seinem Aufenthalt am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, von seinen Begegnungen mit dessen Gründer Hans Joachim Schellnhuber und macht sich Gedanken über die Rolle von Schriftsteller*innen in Zeiten des Klimawandels. Die zwischen Utopie und Dystopie angesiedelte Kurzgeschichte von Angela von Rahden liefert hierzu gleich ein konkretes Beispiel. Der britische Historiker Frederik Albritton Jonsson wiederum fragt in seinem Essay nach Größenordnungen, Maßstäben und Aufmerksamkeitsspannen. Er erinnert daran, dass in Großbritannien bereits im 19. Jahrhundert die fossilen Grundlagen der dortigen Wirtschaft kritisch hinterfragt wurden. Eine mögliche Ressourcenerschöpfung war schon damals ein Thema – bevor sie von der Vorstellung eines unendlichen Wirtschaftswachstums und dem Dogma des steigenden Bruttoinlandsprodukts ‘(siehe Seeßlen) überlagert wurden.
Die Literaturwissenschaftlerin Valeska Bertoncini macht uns mit den Wetterbüchern des Hans Jürgen von der Wense bekannt, die dieser von 1920 bis 1966 führte, angesiedelt “zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Register und Rausch”. Nebenbei unternimmt sie Ausflüge in die literarischen Wetterbeobachtungen zahlreicher anderer Autor*innen. Im ausführlichen Gespräch von Ilija Trojanow mit dem Politologen Ulrich Brand stehen wiederum konkrete politische Herausforderungen und Strategien im Zentrum. Dabei wird unter anderem deutlich, dass es beim Klimawandel letztendlich um Macht und Herrschaft geht, dass soziale Emanzipation nicht konfliktfrei verlaufen wird, und dass Kosteninternalisierung, gerade in Bereichen in denen es “ums Eingemachte” geht, wie der Autoindustrie, auch in Zukunft nicht sehr wahrscheinlich ist. Dass das dahinterliegende Politikversagen von einem Versagen der Medien begleitet wird, konstatieren die beiden Journalisten Maximilian Probst und Daniel Pelletier. Sie beschreiben in ihrem Beitrag die sieben Todsünden des Journalismus im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Klimawandel und plädieren dafür, die Themen Klimawandel und Klimaschutz in der ihnen gebührenden Breite und Tiefe zu behandeln. Denn neben dem Schutz unseres Planeten geht es dabei auch um politische und kulturelle Errungenschaften, wie Demokratie und Gemeinwohl.
Die Germanistin Eva Horn nähert sich dem Klima aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive. In einem Interview erinnert sie uns daran, dass sich die Menschen noch im 19. Jahrhundert, geprägt von Erfahrungen wie der kleinen Eiszeit, vor einem Erkalten des Klimas fürchteten. Für die Gegenwart unterstreicht sie unsere Verantwortung, denn: “Wir sind die erste Spezies, die das Klima wandelt, und weiß, dass sie es tut”. Womit wir schließlich bei der Frage des politischen Klimas wären. Diesem, konkret seiner aktuellen “Vergiftung”, geht Oliver Scheiber in seinem Kommentar nach. Inspiriert vom Film “Ginger und Fred”, einem Werk des großen italienischen Filmemeisters Frederico Fellini, wünscht auch er sich wieder mehr Weitblick, und regt an, wieder mehr zu träumen, und zwar von großen Projekten und von gesellschaftlichem Fortschritt. Dies müssen wir, wie es scheint, erst wieder erlernen. Nach der Lektüre der im Mai erschienen Ausgabe Nr. 176 des wespennest mit dem Themenschwerpunkt “Klima” fühlt man sich dieser Fähigkeit jedenfalls ein Stück weit näher gekommen.
Von Christina Buczko.
wespennest - Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder 176
Klima
Preis: EUR 12.00;
erschienen am 14.05.2019
Informationen zu Bezug und Leseprobe finden sich hier.