Am Freudenauer Hafen

Vom globalen Handel profitieren nur wenige: Das muss nicht sein!

Lieferengpässe bei Medikamenten. Grabsteine aus China. Drohender Handelskrieg mit den USA. Russisches Öl, das plötzlich aus Indien kommt. Was würde der frühere US-Präsident Bill Clinton dazu sagen? Vielleicht: It´s the free trade system, stupid!

Der weltweite so genannte "freie" Handel bestimmt unser aller Leben jeden Tag und auf vielfältige Weise. Die meisten unserer Gebrauchsgüter und auch Nahrungsmittel haben bereits eine weite Reise hinter sich, bevor wir sie in unseren Händen halten. Für das vergangene Jahr 2022 wird der Gesamtwert aller gehandelten Güter und Dienstleistungen auf 32 Billionen US-Dollar geschätzt. Ausgeschrieben sieht diese Zahl so aus: 32.000.000.000.000. Das gesamte Volumen des Handels mit Waren hat dabei voraussichtlich fast 25 Billionen US-Dollar umfasst (ein Anstieg von etwa 10 Prozent gegenüber 2021), der Handel mit Dienstleistungen rund 7 Billionen US-Dollar (ein Anstieg um etwa 15 Prozent gegenüber 2021).[1] Und dieser weltweite Handel nimmt zum Teil recht absurde Formen an.

Einige Beispiele:

  • China ist heute einer der wichtigsten Exporteure von Tomatenmark, das neben Afrika auch nach Europa geliefert wird - wo wiederum Italien, Spanien und Portugal selbst Tomatenmark für den Außenhandel produzieren.
  • Grabsteine aus Granit kommen heute zu einem beträchtlichen Teil aus Indien oder China. Dank geringer Löhne vor Ort und Transportkosten, die nicht annähernd ihre ökologischen Kosten widerspiegeln, beträgt ihr Preis nur rund die Hälfte jener, die aus heimischer Steinmetz-Produktion stammen.[2]
  • Am 5. Dezember 2022 trat „ein Verbot für den Erwerb, die Einfuhr oder die Weiterleitung von Rohöl (aus Russland) in die EU in Kraft“.[3] Zudem dürfen europäische Reedereien kein russisches Öl mehr transportieren, wenn dieses für mehr als 60 USD/Barrel verkauft wird. Bis zuletzt waren trotz diverser vorangegangener Embargo-Maßnahmen u.a. griechische und deutsche Reedereien gut am Exportgeschäft beteiligt. Nun rücken chinesische Unternehmen vor.[4] Auch baute Russland seine eigenen Transportkapazitäten aus und kaufte offenbar schon Monate im Vorhinein in großem Stil gebrauchte Tankschiffe auf.[5] Vorläufige Conclusio: Der Handel mit russischem Öl läuft bis jetzt ungebremst weiter. Und über Umwege gelangt es offenbar auch weiterhin nach Europa.[6]
  • Seit einiger Zeit ist den Medien regelmäßig von Lieferengpässen bei Medikamenten die Rede. Als Ursachen nennt die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährung (AGES) u.a. Zusammenschlüsse von Unternehmen sowie die ausgelagerte Produktion an wenigen Standorten. Im Wortlaut heißt es dazu: „Die Arzneimittelwirkstoffe werden aus Kostengründen zunehmend in Billiglohnländern wie China und Indien hergestellt. Dort hat man teils mit Qualitätsmängeln zu kämpfen. Schon beim geringsten Verdacht muss die Produktion gestoppt werden. Hinzu kommt: Auf dem langen Transportweg von Asien nach Europa ist das Risiko von Lieferkomplikationen größer. Beides führt zu vermehrten Ausfällen.“[7] So ist das halt im Moment.

War das immer schon so? Und muss das immer so sein?

Die Organisationen, die dieses System des internationalen Handels bestimmen, etwa die Welthandelsorganisation (WTO), wurden nach dem 2. Weltkrieg gegründet. Die Regeln werden laufend und großteils hinter verschlossenen Türen weiterentwickelt. Dazu zählen verschiedene multilaterale Handelsabkommen und eine Vielzahl an internationalen Schiedsgerichten, vor denen private Unternehmen sogar ganze Staaten auf hohe Entschädigungen verklagen können.

Ökonom*innen liefern dafür bis heute die vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen, in dem sie z.B. die Position vertreten, Staaten müssen, um ihr wirtschaftliches Potenzial entfalten zu können, genauso wie Unternehmen auf freien Märkten miteinander in Konkurrenz treten.[8] Tatsächlich profitiert nur eine zahlenmäßig sehr kleine Minderheit von der aktuellen Handelsordnung – und dies auf Kosten der Mehrheit der Menschen und unserer Natur. Sollten wir eigentlich nicht vielmehr den Wohlstand aller Menschen, sprich das Gemeinwohl, als oberstes Ziel festsetzen? Und uns fragen, wie unsere Wirtschaft, unser Geldsystem und auch der internationale Handel dazu beitragen können?

In seinem letzten, kurz nach seinem Tod veröffentlichen Buch mit dem Titel „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“ beschäftigte sich der US-amerikanische Anthropologe David Graeber gemeinsam mit seinem Kollegen David Wengrow mit der großen Frage, wie Gesellschaften in früheren Zeiten organisiert waren und was wir daraus für die Zukunft lernen können. Dazu untersuchten die beiden Autoren unter anderem, wie Inselbewohner*innen in Südostasien in früheren Jahren miteinander Tauschhandel betrieben und kommen zu dem Schluss: „(…) oft haben solche regionalen Netzwerke auch den fast ausschließlichen Zweck, freundliche Beziehungen herzustellen oder Gründe zu schaffen, dass man sich von Zeit zu Zeit besuchen kann.“[9] Vielleicht sollten wir in Gedanken einmal zu diesen Anfängen zurückkehren, und uns wirklich überlegen, ob wir daraus nicht für die Zukunft etwas lernen können…

 

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[1] UNCTAD: Global Trade Update. December 2022: https://unctad.org/system/files/official-document/ditcinf2022d4_en.pdf (26.1.2023)

[2] https://salzburg.orf.at/m/v2/news/stories/2740192/ (26.1.2023)

[3] https://germany.representation.ec.europa.eu/news/olembargo-gegen-russland-tritt-kraftpreisobergrenze-60-usd-pro-barrel-rohol-2022-12-05_de (26.1.2023)

[4] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/sanktionen-im-ukraine-krieg-deutsche-reedereien-transportieren-wieder-mehr-russisches-oel/#:~:text=Denn%20die%20Mehrheit%20der%20gr%C3%B6%C3%9Ften,haupts%C3%A4chlich%20aus%20Griechenland%20und%20Deutschland (26.1.2023)

[5] https://www.spiegel.de/wirtschaft/oelembargo-der-eu-russland-kauft-mehr-als-100-tanker-auf-a-747e2da9-d12b-4d5d-a2c5-d5a8874b5e25 (26.1.2023)

[6] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/trotz-eu-embargo-und-sanktionen-wie-indien-auch-singapur-mischt-jetzt-russisches-oel-fuer-den-weiterverkauf-li.308680 (26.1.2023)

[7] https://www.ages.at/mensch/arzneimittel-medizinprodukte/arzneimittel-lieferengpaesse (26.1.2023)

[8] Vgl. Flassbeck, H. et al. 2022: Warum ist aufholen durch Handel schwer? in: Atlas der Weltwirtschaft 2022/23. Westend Verlag

[9] Graeber, D./ Wengrow, D. 2022: Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit. S.37