Buchtipp: Angst und Macht
Nach seinem vielbeachteten Buch “Warum schweigen die Lämmer” legt der emeritierte Wahrnehmungs- und Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nun einen kleinen, essayartig verfassten Band nach, in dem er sich vertiefend mit dem Zusammenhang zwischen Angst und Macht sowie Herrschaft in der kapitalistischen Gesellschaft auseinandersetzt. In klarer Sprache und unter Rückgriff auf verschiedene Kapitalismuskritiker*innen – unter anderem Noam Chomsky, Philip Mirowski und Ingeborg Maus – führt uns Mausfeld darin eindrücklich vor Augen, wie es den heutigen Machteliten gelingt, uns in einem permanenten Zustand der Angst und Ohnmacht gefangen zu halten. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Wirtschaftsordnung, soziale Hierarchien und Eigentumsverhältnisse de facto keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegen. Angsterzeugung, so Mausfeld, ist dabei weitaus effektiver als bloße Meinungsmanipulation. Konzern- und Industriekapitalismus und Demokratie sind, so die Ausgangsprämisse des Autors, grundsätzlich nicht vereinbar. Unsere heutige Form einer “kapitalistischen Demokratie” muss demnach als Zugeständnis von Eliten zur Auftrechterhaltung des Status Quo betrachtet werden, der ansonsten mittels Repression verteidigt werden müsste. Die “systematische Erzeugung von Angst” bildet dafür eine wesentliche Voraussetzung, denn: Angst blockiert.
Ausgehend von diesem Befund erläutert Mausfeld sowohl die genannten blinden Flecken der großen Mehrheit im Hinblick auf demokratische Mitbestimmung und Kontrolle, die fortschreitende Entpolitisierung der vergangenen Jahre und auch den zunehmenden politischen Rechtsruck. Sehr allgemein unterscheidet er zwei Typen von Angst: die Furcht als Angst vor einem konkreten Objekt einerseits sowie eine gegenstandslosere und weniger konkrete, so genannte “Binnenangst” andererseits. Gerade letztere ist für die Analyse von Angst als Herrschaftstechnik zur Verschleierung von kapitalistischer Ideologie und realen Machtverhältnissen entscheidend. Erzeugt wird diese Angst laut Mausfeld vorrangig durch den vorherrschenden Zwang zu Lohnarbeit und die damit in Verbindung stehende Ideologie der Meritokratie oder Leistungsgesellschaft, nach der die soziale Position eines Menschen in der Gesellschaft auf seine vermeintliche Leistung zurückzuführen sei. Die Kehrseite bilden sich ausweitende und seitens der Betroffenen vielfach als selbst verschuldet angesehene Prekarisierungsformen, die Mausfeld ebenfalls als “Taktik der Herrschaftssicherung des Kapitals” entlarvt. Der Autor konstatiert hier aus Perspektive der Betroffenen eine Art “Traumatisierungsspirale”, und legt zugleich dar, wie dabei gezielt Schwachstellen unserer Psyche und unseres Geistes adressiert werden. Insgesamt sind diese Entwicklungen, so der Autor, bereits derart tief in unserer Kultur verankert, dass wir sie kaum mehr als ideologische Konstrukte zu erkennen vermögen.
Eine wichtige Rolle bei der permanenten Erzeugung von Angst spielen das Rechts- und das Bildungssystem. Im Hinblick auf ersteres konstatiert Mausfeld eine “Refeudalisierung”, die ihren Ausdruck etwa darin findet, dass zwar individuelle Rechtsüberschreitungen konsequent geahndet werden, großräumige Umweltschäden verursacht durch mächtige Unternehmen beispielsweise jedoch kaum. Im Bildungsbereich wiederum zeigt sich die kapitalistische Durchdringung unter anderem im Siegeszug der “Kompetenzen”, die sich durchwegs als ebenfalls kaum mehr hinterfragte Anpassungsleistung des homo oeconomicus an die bestehenden Markt- und Machtverhältnisse charakterisieren lassen.
Den Rahmen all dieser Entwicklungen bildet die von Mausfeld als “radikal antidemokratisch” bezeichnete neoliberale Ideologie mit ihrer “ideologischen Fiktion” der freien Märkte als eine der Rahmenbedingungen für einen globalen Konzern- und Finanzkapitalismus. Angst entfaltet hier ihre Wirkung, “[…] ist der Neoliberalismus [doch] darauf angewiesen, dass die Befähigung blockiert wird, überhaupt noch irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können.” (S. 50) In diesem Zusammenhang widmet sich der Autor auch der Rolle von Propaganda und Medien – beispielhaft unter anderem anhand der Erschaffung der Feindbilder Russland, Terrorismus und Migrant*innen. Bei genauer Betrachtung lässt sich leicht feststellen, dass journalistische Sprache heute argumentative Strukturen weitestgehend vermissen lässt und vielfach einer “Logik” von PR-Agenturen folgt, weshalb sich ihre Inhalte auch als gezielte Desinformation charakterisieren lassen. Zudem unterstellt Mausfeld, dass jeglicher “von oben verordnete Kampf gegen den Rechtspopulismus” verlogen sei, da Nationalismus und Rassismus bereits zu tief in weiten Teilen des politischen Spektrums und damit der politischen Eliten eingeschrieben sind.
Das Fazit des Autors lautet – wenig überraschend: Wir müssen uns von der Ideologie der Alternativlosigkeit des demokratischen Kapitalmus und bloßen Ad-Hoc-Gegenstrategien befreien, und die Fähigkeit, langfristige, menschenwürdige und solidarische Alternativen zu entwickeln, wiedererlangen. Nicht zuletzt dazu möchte Mausfeld mit seiner Analyse der gegenwärtigen Machtverhältnisse als Ausgangspunkt einen Beitrag leisten. Auch wenn er an einigen Stellen begriffliche Trennschärfe vermissen lässt – so werden die beiden Begriffe Macht und Herrschaft weitestgehend synonym verwendet –, bietet das Buch mit seinen knapp 100 Seiten eine rasche, einführende Lektüre in die Thematik mit vielfältigen Literaturverweisen zur Vertiefung. Sehr ansprechend gestaltet ist es im heurigen Frühjahr im Westend Verlag erschienen.
Von Christina Buczko
Rainer Mausfeld 2019: Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. Westend Verlag GmbH, Frankfurt/ Main