Welche Art von Finanzbildung braucht es?
Am 13.12. erschien in der Tageszeitung "Die Presse" unter dem Titel "Wie uns mehr Wissen über Finanzfragen nützt" ein Gastkommentar von Gerhard Weibold. Darin fordert der Autor mehr Finanzbildung, um Finanzprodukte und -dienstleistungen "besser verstehen, kritisch hinterfragen und bewusst auswählen" zu können. Die dahinterlegende Zielvorstellung lautet in aller Kürze: finanzielle Vorteile für die oder den Einzelnen. Diese Sichtweise greift aus unserer Sicht zu kurz.
Gerhard Weibold weist zu Recht darauf hin, dass die Finanzbildung in der Bevölkerung quer durch alle Altersgruppen nach wie vor erschreckend gering ist. In der Tat gibt es bis heute kein flächendeckendes Angebot, und auch im Schulunterricht werden geld- wie finanzpolitische Themen kaum adäquat behandelt. Vereinzelte engagierte Lehrer*innen bilden hier wichtige Ausnahmen.
Neben der Frage der Quantität der im Kommentar geforderten Ausweitung von Finanzbildungsmaßnahmen, sowohl im schulischen Bereich als auch in der Erwachsenenbildung, muss jedoch auch jene nach den Zielen und den Inhalten derartiger Bildungsangebote gestellt werden. Das Konzept der „klassischen“ Finanzbildung bezieht sich auf individuelle Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Entscheidungen im Zusammenhang mit Geld (private Investitionen und Anlageformen, Abschluss von Versicherungen und Vorsorgeleistungen usw.). Die OECD definiert financial literacy demgemäß als eine „Kombination aus finanziellem Bewusstsein, Wissen, Fähigkeiten, Haltungen und Verhaltensweisen, die notwendig sind, um fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen und letztlich finanzielles Wohlbefinden zu erreichen" (Atkinson & Messy, 2012). Neben dem persönlichen Wissenstand spielen dabei auch Aspekte, wie die persönliche Einstellung zu Geld, die Risikobereitschaft und natürlich auch die jeweilige Vermögens- und Einkommenssituation eine wichtige Rolle.
Was bedeutet es, wenn „die Finanzmärkte“ nervös sind?
Was dieses Bildungsverständnis jedoch völlig außer Acht lässt, sind die Strukturen des internationalen Finanz- und Geldsystems, in die sowohl die konkreten Anbieter*innen von Finanzdienstleistungen (Banken, Versicherungen, Fintechs u.a.), als auch wir als Konsument*innen eingebettet sind. Es braucht demnach eine umfassende, kritische Finanzbildung, die über das Konzept der persönlichen Entscheidungsgrundlagen hinausgeht, und das große Ganze in den Blick nimmt. Denn wer oder was sich hinter „den Finanzmärkten“ verbirgt, weiß letztendlich kaum jemand. Ob Finanzdienstleistungsunternehmen selbst hier die geeigneten Anbieter*innen für derartige Bildungsangebote sind, ist mehr als fraglich. Aus unserer Sicht sind dabei in erster Linie das öffentliche Bildungssystem, eine unabhängige Wissenschaft und eine kritische Zivilgesellschaft gefragt.
Ein bereits bestehendes, konkretes Angebot bietet die Akademie für Gemeinwohl (www-gemeinwohlakademie.at). Als Bildungseinrichtung der 2014 gegründeten Genossenschaft für Gemeinwohl bietet sie Bildungs- und Bewusstseinsarbeit vor dem Hintergrund des allgemeinen Zieles einer Änderung des gegenwärtigen Geld- und Finanzsystems im Sinne einer Stärkung der Prinzipien der Nachhaltigkeit, der Demokratisierung und der Gemeinwohlorientierung. Die Akademie folgt dabei dem Verständnis einer “kritischen Finanzbildung”. Dieses zielt auf ein Wissen über die das Geld- und das Finanzsystem prägenden Strukturen sowie die dahinter stehenden Mechanismen. Nur so können bewusste Entscheidungen darüber getroffen werden, wie das eigene Geld verantwortungsvoll angelegt werden kann, und in welchen Bereichen man sein Geld lieber nicht arbeiten lassen möchte. Denn letztendlich haben auch individuelle Entscheidungen weitreichendere Folgen, die über den im Kommentar genannten persönlichen Lebensstandard hinausgehen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Ungleichverteilungen und wahrgenommener Verteilungsungerechtigkeit auf der einen, und der gegenwärtigen Ausgestaltung des Finanzsystems auf der anderen Seite. Das Bewusstsein für diese Art der Zusammenhänge zu stärken, auch das muss Finanzbildung gewährleisten. Nicht zuletzt führten gerade auch diese Entwicklungen in den letzten Jahren zu einem steigenden Zuspruch rechtspopulistischer Parteien und reaktionärer Politikkonzepte. Kritische Finanzbildung ist demnach auch als politische Bildung zu verstehen!